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Die Ausgangslage

Politische Inkompetenz, aufgeblähte Bürokratien, Vetternwirtschaft, obrigkeitlicher Privilegiengenuß, Geldverschwendung in Milliardenhöhe, Parteiismus und Berufsideologentum, vor allem aber der überall Platz greifende Gebotszwang, das sind nur einige der Defizite der Staatsgesellschaft. Sie werden heute überall offen angeprangert und deren Folgen für die Gesellschaft besorgt diskutiert. Die Redewendung "Politik als Ärgernis" stellt geradezu eine Verharmlosung und Abschwächung dessen dar, was der Bürger empfindet, wenn er mit den Defiziten der Staatspolitik konfrontiert ist.

In den letzten Jahrzehnten sind z.B. in Deutschland fast alle nachhaltigen Reformversuche gescheitert, sei es beim Gesundheitswesen, in der Rentenpolitik, in der Verkehrs-, Umwelt-, Steuer-, Arbeits- und Bildungspolitik. - Es gibt erste Anzeichen für die Unregierbarkeit der Menschen mittels Macht und Gewalt gesellschaftspolitischer "Hoheitlichkeit", jedenfalls auf der Basis der bisher bestimmenden politischen Ideologien.
Längst haben die Machteliten der Gesellschaft den Überblick über ihr Tun verloren. Deshalb wissen sie auch nicht, in welchem Maße sie dazu beitragen, ihre Untergebenen und deren soziale und naturale Umwelt zu ruinieren. "Menschenrechts"-Verpflichtungen werden bis zum Steinerweichen heruntergebetet und den Newcomern auf dem weltumfassenden Staatskarussell unter die Nase gerieben. Die Proklamatoren dieser Rechte wollten die Selbstentfaltung des Individuums gegen einen überbordenden Staatsbetrieb sichern. Die politische Praxis der "alten Demokratien" hingegen hat es bis heute nicht geschafft und schafft es immer weniger, die inzwischen exorbitante Behinderung der individuellen Selbstentfaltung zu beseitigen.

Von Defiziten der Staatspolitik ist inzwischen unverblümt die Rede. Es gibt die vernichtenden Formeln ("Staat als Zumutung"; S. Papke; "Staat als Alptraum", T. Tettamanti). Aber heute sind nirgendwo echte und an die Wurzel gehende Ansätze erkennbar, die beschriebenen Defizite, die ja wirkliche Humanitätsdefizite sind, zu beheben. Die Machteliten jedenfalls sehen nicht so aus, als wenn sie hier gegensteuern könnten. Sie demonstrieren Kurzsicht statt Weitblick, Routine statt Innovation, und auch - - Heuchelei statt Aufrichtigkeit.

Statt uns der Staat in seiner Rolle als Monopolist seine Dienstleistung so bietet, wie wir sie je einzeln brauchen (und sie dann auch je einzeln abgerechnet haben möchten!), nötigt er uns - aufgrund seiner Konzernstruktur mit Einheitskassenwesen - in ein Leistungs-Gegenleistungs-Geflecht hinein, das wir in dieser Form gar nicht haben wollen und das uns viele Lebensressourcen kostet.

Statt sich der Staat in seiner Rolle als Rechts- und Schiedsinstanz darauf beschränkt, unserer Spontaneität die Grenzen zu setzen, die sein müssen, damit die Rechte der anderen nicht ge- oder gar zerstört werden, presst er uns in nahezu allen Lebensgestaltungs- und Entfaltungsbereichen in einen vorentworfenen Normschematismus ("Zivilgesetze") hinein. Der nötigt uns ein Verhalten ab, das weder unserem persönlichen Recht noch dem des jeweils anderen nützt. Auf unsere Persönlichkeitsbildung wirkt sich das so aus, dass wir über allerlei Bildungszwänge in Fremdlehrpläne hinein gestoßen werden, die einen Lehrstoff vermitteln, der weitgehend lösungsinkompatibel ist und lediglich in der Phantasie der staatsbeamteten Lehrplangestalter dazu taugt, das Leben zu meistern. Als ob das Leben nicht auch in jungen Jahren genügend kleine und große Freuden und Nöte schüfe, die das Lernen auf ganz natürliche Weise herausfordern und fördern - wenn man sie nur ungehindert zuließe! Aber der Selbstentwicklung und persönlichen Selbstentfaltung stehen überall Barrieren im Weg. Eigenlernpläne sind nicht gefragt, ja werden wie Schreckgespenster verteufelt und sogar unter Polizeieinsatz zunichte gemacht.

Statt uns die Chance einer echten Mitbestimmung bei der Machterteilung einzuräumen, nötigt uns der Staat Machtverleihungsrituale auf, die mit einer wahrhaft freien, gleichen und allgemeinen Wahl nur den Namen gemeinsam haben. Dass wir uns an den Machtkämpfen der Politprofiteure und deren Reklameveranstaltungen auch noch finanziell beteiligen müssen, dass also das "hoheitliche Gewerbe" noch nicht einmal dieses Risiko auf sich nimmt, ist noch eine der harmloseren Varianten des unfreiwilligen Staatszynismus, die wegen ihrer naiven Unverfrorenheit eher zur Belustigung Anlass gibt.

Das ist die derzeitige gesellschaftspolitische Situation. Aber warum machen wir ihn nicht, den schon so oft mit markigen Worten beschworenen "Schritt in eine andere Zukunft"?

Die herbeigesehnte Zukunft wird blockiert, und zwar vor allem durch das Ignorieren der Kritik am Bestehenden. Die Ignoranz hält sich zäh, und besonders bei den Machteliten der Gesellschaft. Aber auch wir, das Volk, sind nicht gerade innovationsfreudig. Nach statistischen Umfragen glaubt der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung, dass er von den Staatsfunktionären dilettantisch regiert, ja sogar belogen und betrogen wird. - Wo bleibt der Sturm der Entrüstung? Wo bleibt der Protestruf der Gebeutelten? Viele von uns leben offenbar ganz zufrieden in ihrer gut kaschierten Knechtschaft, auch wenn sie die Staatspolitik nicht gerade lieben. Andere leiden geduldig vor sich hin. Teile der Jugend scheren aus - auf Jugendart: Wo die solide politische Basis fehlt, da polarisieren nur noch Meinungen die Gemüter. Wo es nur eine demokratische Mogelpackung gibt, da darf man sich sowohl extrem "rechts" als auch extrem "links" an den Ufern hehrer Moralität wähnen.

Das Ziel

Der Staatsgesellschaft gegenüber erwächst der Wunsch nach einer gesellschaftspolitischen Alternative, einer neuen Positivität. Die hier vorliegende Zeitschrift stellt eine solche in einzelnen Beiträgen ausführlich vor. Ihr Anliegen ist, die bereits überall vorhandene gesellschaftspolitische Sensibilität für das Neue in klares Bewusstsein zu verwandeln. Um dabei zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, muss bei den einschlägigen Begriffsapparaten einiges vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Vor jedem Eingang in eine neue Positivität stehen zunächst einmal Fragen. So auch hier: - Aus welchen Quellen soll das Neue geschöpft werden? - Welches Richtmaß soll gelten? - Und vor allem: Wie können die beiden Pole Idealität und Realität einander näher kommen?

Die in espero gegebenen Antworten und Anregungen zum Aufbau einer neuen Gesellschaftsform sind nur dann zu verstehen, wenn man den Blickwinkel ändert, will sagen: die politischen Einrichtungen schlicht als Dienstleistungseinrichtungen begreift und den Bürger als souveränen Verbraucher und nicht als vor verbeamteten "Hoheiten" knienden Bittsteller ("Staats-Bürger").

Die von uns als Alternative favorisierte Gesellschaft ist die staatsfreie Bürgergesellschaft. Niemand kann sich die Gesellschaft aussuchen, in die er hineingeboren wird. Sie ist vorgegeben. Umso dringlicher erscheint es, eine gesellschaftspolitische Organisationsform zu haben, die es jedem im Entwicklungsstadium voll ausgebildeter Bewusstheit leicht macht, dem Schicksal des Hineingeborenseins nachträglich seine volle Zustimmung zu geben.
Mit unserem Plädoyer für die Bürgergesellschaft wollen wir keine neue Gottheit zur Anbetung empfehlen. Solche Anbetung sehen wir eher dort, wo das Bestehende tabuisiert und mystifiziert wird und wo aus der Tatsache, dass keiner Anstalten macht, politische Gesellschaftlichkeit zu verändern, geschlossen wird, dass mit dieser soweit alles in Ordnung sei.

Einer wahrhaften Bürgergesellschaft steht der Staat im Wege. Sie wird eine Gesellschaft ohne Staat sein müssen. Dass solche Vorstellung automatisch zur baldigen Auflösung heutiger Staaten führe, darf nicht erwartet werden. Solange sich die Untertanen in ihrer Rolle als "Staats-Bürger" von politischen Funktionärsgangs klaglos wie eine Vieherde hin und her stoßen lassen, ist eine Änderung der politischen Verhältnisse nicht in Sicht. Das Ende der Staaten würde erst eingeleitet, wenn die Untertanen damit begännen, ihr politisches Verhalten zu ändern und - infolge dessen - zu wahren Bürgern zu werden. Der Staat kann als Staat nur überleben auf den Schultern eines unterwürfigen "Souveräns", eines ihn duldsam tragenden Volkes.

Steuerverschwendung in Milliardenhöhe, horrende öffentliche Verschuldung, Parteienfilz, Ämterpatronage, Inkompetenz der politischen Eliten und vieles andere mehr sind Schlagworte, die schon so oft durch die Medien geisterten, dass unsere wache Aufmerksamkeit inzwischen müde, unsere Wut flau und unser Widerstandswille gebrochen ist. - Gibt es keine akzeptablen gesellschaftspolitischen Alternativen? Müssen wir es bei dem bloß blässlichen Wunsch nach Änderung unserer Verhältnisse bewenden lassen? - Keineswegs! Das bislang über die Möglichkeiten politischer Erneuerung Gesagte stimmt uns nicht traurig. Wir sehen einen Silberstreif am Horizont: Für eine Gesellschaft ohne "Hoheitlichkeit" und ohne "Hoheiten", für eine wahre Bürgergesellschaft also, gibt es Hoffnung erweckende Perspektiven. Dies wäre eine Gesellschaft, die größten Wert auf die Entflechtung politischer Macht legt. Anstelle des Staatskonzerns hätte sie nur ein paar getrennt voneinander agierende und abgeschlankte politische Dienstleistungsmonopole. Diese würden durch (von den jeweiligen Nutzern!) ausgewählte Fachkompetenz strengstens kontrolliert. Außerdem: Jede Art von Gebotsdiktatur hätte in einer solchen Gesellschaft keinen Platz. Selbstbestimmung hätte absolute Priorität. Oberster Rechtsgrundsatz wäre: das für alle gleiche Recht auf freie Lebensentfaltung.

Die Form, in der politische Regie und Kontrolle heute stattfindet, nämlich als Parteiparlamentarismus, wird in einer Gesellschaft wahrhaft frei gesinnter Bürger nicht durchzuhalten sein. Eine bestimmte, und zwar basisnahe Form von Demokratie wird sie dennoch entwickeln, eine Form allerdings, die den Namen Demokratie wirklich verdient. Dies setzt ein neuartiges Modell für die Auswahl politischer Regie voraus, ein Modell, das mit den heute üblichen Vorstellungen über das so genannte "Wählen" nichts mehr zu tun hat.

Wahrhafte gesellschaftspolitische Souveränität begänne also mit einem Tabubruch der besonderen Art: dem Entwurf einer politischen Gesellschaftlichkeit ohne Staat, also einer völlig neuartigen politischen Verfassung der Gesellschaft. Manch einer von uns möchte solchem Ansinnen sicher mit einem Aufschrei der Entrüstung begegnen. Eine Gesellschaft ohne "Regierung" und ohne "Staat" zu proklamieren, dürfte weithin Kopfschütteln, wenn nicht sogar Empörung auslösen. Denn die Gewöhnung an "Vater Staat" ist etwas überaus Nachhaltiges. Eine Gesellschaft ohne Staat? - Für die meisten (wenn auch sonst so "kritischen"!) Zeitgenossen völlig undenkbar! Von keinem der Vertreter des öffentlichen Bewusstseins - selbst derer aus dem gesellschaftspolitischen Kritikerlager - ist zu vernehmen, dass er sich eine funktionierende Gesellschaft ohne Staat vorstellen könnte. Des ungeachtet gilt:

"Das größte Problem, nicht nur in Amerika, nicht nur in Russland, nein, auf der ganzen Welt, ist dieses: Wie können wir den Bürger schützen vor dem modernen Staat?" (Herbert Hoover, amerikanischer Präsident)

"Es gehört nicht notwendig zum Menschen, einen Staat zu haben; aber es gehört zum Menschen, mit anderen zusammenzuarbeiten, weil er als Einzelner die Aufgaben, die ihm das Leben und sein Geist stellt, nicht bewältigen kann." (Emil Brunner, schweizer Theologe)

"Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden." (Ludwig von Mises, österreichischer Ökonom).

"Der Staat ist die von Gott gestiftete Erhaltensordnung." Eine solche Sentenz zu äußern, blieb niemand anderem vorbehalten als Fabian von Schlabrendorff, einem staatspolitischen Erfolgsmenschen, der - nicht zufällig übrigens - laufbahnmäßig bis ganz nach oben kam. Er hat es nämlich bis zum Verfassungsrichter gebracht. Seine forsche Äußerung über die Gottesstiftung ist beileibe nicht überall auf fruchtbaren Boden gefallen. Denn die diesbezüglichen Meinungen gehen weit auseinander. Schon vor vielen Jahrzehnten konnte man Sätze lesen wie die:

"Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte." (Friedrich Hölderlin)

"Der grausamste, unheilvollste Aberglaube ist das Vaterland, der Staat." (Leo Tolstoi)

"’Auf der Erde ist nichts Größeres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes’ - also brüllt das Untier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeäugte sinken auf die Knie!" (Friedrich Nietzsche über den Staat)

Der Staat wird nicht selten so hingestellt, als sei er etwas Naturgegebenes. Blasphemiker versteigen sich sogar zu der These, der Staat sei Gotteswerk (s.o.). Demgegenüber muss daran erinnert werden, dass die Menschheit auch noch nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies ohne "hoheitliche" Obrigkeit zurechtkam. - "Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" lautete eine der Parolen der Bauernkriegszeit, einer Periode, in der auf deutschem Boden die Notwendigkeit einer von der übrigen Gesellschaft mitversorgten Obrigkeit zum ersten Mal massiv in Frage gestellt wurde.

"Die ’unbefleckte Empfängnis’ des Staates gibt es nicht. Weder seine Entstehung, noch der weitere Verlauf seiner Entwicklung kann auch nur entfernt den Eindruck vermitteln, dass der Staat zum Schutze der Freiheit des Einzelnen da sei. Erfüllt er diese Aufgabe doch ab und zu, und mehr schlecht als recht, so hat dies nur etwas mit Relikten aus vorstaatlicher Zeit zu tun, die eher ein Fremdkörper in seinem Gefüge sind." (Detmar Doering)
Einen Staat als Staat verwerfen, das meint nicht das Aufzeigen irgendwelcher Fehler oder Missgestaltungen am Staat. Es meint nicht die Entehrung, Befleckung oder Beleidigung des Staates. Es meint auch nicht das Nörgeln und Herumzerren an bestimmten staatlichen Machthabern. Es meint ganz nüchtern das absolute Aus des Staates in seiner Rolle als Bezugsgröße positiven persönlichen Verhaltens. Und wo der Staat gestorben ist, "weckt ihn keiner wieder auf" (Erhard Eppler).

Der Gedanke an das Aus des Staates ängstigt viele. Die Angst wird von den Staatsprofitlern kräftig geschürt. Denn auch hier ist es wie überall: "Den Lohn der Angst kassieren die Angstmacher" (Jürgen Blum). Unter dem Druck aufgeblähter Warnungen vor Anarchie und Chaos ziehen auch die weiter am Karren des Staates, die ihm eigentlich längst die Faust zeigen wollten: Was soll werden ohne Staat? Muss nicht alles in einem politischen Hexensabbat enden? -
Der Staat, dieses Relikt "aus der guten alten Zeit", hat seinen Zenit überschritten. Bald wird seine Stunde schlagen. Der Staat ist ein längst fälliges Auslaufmodell. - Hat es nicht in erster Linie mit der Verschlafenheit unseres Geistes und der Richtungslosigkeit unserer Sinne zu tun, dass wir das Unikum "Staat" überhaupt noch dulden?

Die Tage des hoheitlichen Spuks sind gezählt. Eines Tages wird der schon von Max Stirner vorgeprägte Leitspruch einer schlüssigen Humanität: "Ich bin der Mensch" (und sonst gar nichts!!) gesamtgesellschaftlich Oberwasser bekommen und ähnlich wie der Leitspruch der Demokratie: "Wir sind das Volk" eine zwar bis an die Zähne bewaffnete aber politisch abgewirtschaftete Regierungsmacht gewaltfrei in die Knie zwingen.

Je mehr Menschen die Unstimmigkeit der Staatspolitik empfinden und - in welcher Form auch immer - die Flucht vor ihr ergreifen, desto mehr gerät das System ins Strudeln. Schon heute kann es nur am Laufen gehalten werden, indem (wie bei den Nazis) - in schwesterlicher Eintracht mit der Gewaltandrohung - die Gesinnungsethik strapaziert wird. Der Staat hat die Verantwortungsethik längst durch eine scheinheilige Gesinnungsethik ersetzt (N. Walter).

Die Speerspitzen des Zeitgeists sind dabei, auf allen Gebieten des Staatswesens einen Sichtwechsel zu vollziehen. Zwar hinkt das professionell-theoretisierende Bewußtsein staatsbeamteter Wissenschaft dieser Entwicklung weit hinterher. Es vermochte bisher nicht, ihr in vernünftigem Abstand zu folgen. So steht es ihr unvorbereitet und vermutlich bald auch hilflos gegenüber. - Aber hervorragende Autoren weitab vom Karavanenzug hoheitlicher Geistpotenz haben bereits eine Fülle überzeugender Argumente gegen die gesellschaftliche Berechtigung des Staates vorgelegt. Über das theoretische Aus des Staates bedarf es eigentlich keines Disputs mehr.

Aber auch praktisch ist der Staatsbetrieb vielerorts schon am Ende. Das zeigt sich einstweilen zwar erst in punktuellen Verweigerungsakten. Aber solche Akte nehmen zu. Z.B. finden in Deutschland schon 16% aller wirtschaftlichen Leistungen jenseits des fiskalischen Zugriffs des Staates statt.

Es sind die hausgemachten Systemmängel selber, die den Staat zermürben. Nicht der "störrische Bürger" also, nicht die "skandalgeile Presse", nicht die "zähe Bürokratie" stellen die Fallen, in die die altersschwache Staatspolitik immer mehr hineintappt. Sie geht an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde. Sie wird vielleicht Erholungsphasen durchlaufen. Die unbeugsame Kraft dynamisch wirtschaftender Menschen wird dem Staat einige Zeit noch die Mittel zuspielen, die sein Leben verlängern. Aber irgendwann ist Schluss.

Sicher werden noch Jahre darüber ins Land gehen, bis der Staat so morbide geworden ist, dass viele Bürger die Notwendigkeit erkennen, ihre gesellschaftspolitischen Angelegenheiten unter eigene Regie zu nehmen und bereit sind, die umfangreiche und aufreibende Vorarbeit dafür zu leisten. Erst dann wäre der Weg frei für eine wahre Bürgergesellschaft. Aber bevor nur ein Anflug von Chance für einen solchen Bewusstseinswandel besteht, vergeht eben Zeit. Und je mehr Zeit unter der Ägide der Staatsgesellschaften vergeht, desto mehr geht die Entwicklung in Richtung eines einheitlichen Weltstaats.

Dass eines Tages die Nationalstaaten zu einem globalen Gesamtgebilde verwachsen könnten und auf diese Weise die auch von mir ersehnte Kosmopolitik in die Hände eines Superstaates gelangte, ist eine Horrorvision für mich. Dann wäre Kosmopolitik nur über den Staat zu haben, einen Staat zudem, der eine ungeheure Macht bei sich bündelte. Dem muß die Menschheit zuvorkommen, wenn sie nicht in das unwürdigste Helotentum ihrer Geschichte fallen will.

Weil der Staat den Keim seines Untergangs schon in sich trägt, sitzt er auf einer Zeitbombe - vielleicht nicht einmal ahnungslos. Sein Überleben ist zwar vorläufig noch durch die "Bajonette der Exekutive" und die Dynamik wirtschaftender Menschen gesichert. Seine Finanzstrategen müßten Genies der Torheit sein, würden sie - ein solches Potential hinter sich - das Schiff nicht noch eine Weile schaukeln könnten. Trotzdem: ein Zurückdrehen des Rades der Geschichte ist nicht möglich.

Das kollektive Wohlgefühl innerhalb des "Gemeinwesens" ist längst kollektiver Ungeduld und Skepsis gewichen. Sogar im Lager der "Experten" breitet sich Unmut aus. Die Menschengesellschaft scheint dazu verdammt - die Vorgänge im ehemaligen Ostblock seit 1989 beweisen es einmal mehr - sich näher und näher an die Prinzipien ihres gesellschaftlichen Wesens heranzutasten. Seien die Umwege auch noch so groß und die Opfer noch so zahlreich. Offenbar ist die politische Entwicklungsrichtung langfristig vorgezeichnet: weg von der Staatsgesellschaft - hin zu einer wahrhaften Bürgergesellschaft. Insofern dürfte jeder einzelne Versuch, dieser Idee näher zu kommen, von der Geschichte belohnt werden.

Der Weg

Ein Rückbau des Staats ist politisch unmöglich. Der Staat muss weiter und weiter und weiter - bis er sich ausgewütet hat, d.h. bis zum bitteren Ende. Und das Ende wird kommen. Warum? - Der Staat wird an der Größe der an ihn gestellten und von ihm provozierten Erwartungen allmählich ersticken. Das macht Hoffnung auf ein einigermaßen "natürliches" Ende des Staates.

Das Beste, was der Gesellschaft passieren kann, ist das Ableben des Staates auf "natürliche" Weise: wenn er aus sich selbst heraus kraftlos zusammensinkt. Aber trotz aller Hoffnung auf solch ein gewissermaßen natürliches Ende: ganz ausgeschlossen ist es nicht, daß der Staat eines Tages doch noch an einem seiner vielen Stolpersteine tödlich verunglückt, also eines "unnatürlichen" Todes stirbt. Dann würde allerdings - schonungsloser als sonst - das ganze Ausmaß des von ihm hinterlassenen Elends und die Hilflosigkeit derjenigen, die auf ihn guten Glaubens bauten, auf einen Schlag offen zutage treten. Das wäre eine Wehklageveranstaltung wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. - Sogar ein Blutbad wäre nicht auszuschließen.

 

 

 

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