Radikaler Geist:
Kurt Zube
von Uwe Timm / veröffentlicht in: eigentümlich frei – Nr. 19 (November 2001) 25
Kurt Zube wird am 14. Juli 1905 in Dirschau bei Danzig in einem bürgerlichen Elternhaus geboren. Nach seinem Abitur 1924 studiert er bis 1929 in Danzig und Berlin Philosophie und Staatswissenschaften.
Zube ist noch Gymnasiast, als er 1922 die Bücher und Werke des Dichters, Schriftstellers und Anarchisten John Henry Mackay (1864-1933) kennen lernt. Er ist so beeindruckt, dass er Mackay in Berlin besucht, um ihn persönlich zu erleben.
1929 bereits versucht sich Kurt Zube als Versandbuchhändler sowie Verleger. Er versteht sich als Herausgeber einer Zeitschrift neuen Typs, Radikaler Geist, einem Blatt, das einen Querschnitt durch die radikale Literatur der Gegenwart bringt – und zur Diskussion stellt. Außer seinen eigenen Originalbeiträgen bringt er Vorabdrucke von Neuerscheinungen aus der kommunistischen und anarchistischen Literatur dieser Zeit. Im Radikalen Geist werden die unterschiedlichsten Autoren vorgestellt: J. R. Becher, A. Gide, E. Jünger, G. Hauptmann, E. Kästner, K. Tucholsky – so die gewagte Mischung. Im ersten Heft erscheint sein Artikel Heil Hitler, womit sich Zube 1933 die Beschlagnahme sämtlicher Verlagswerke und ein Berufsverbot durch die Reichsschrifttumskammer einhandeln wird. Wiederholte Hausdurchsuchungen in Danzig, wo er der letzte ist, der noch im Sommer 1933 die Nazis attackiert, und auch in Berlin, führen später dazu, dass seine wertvolle Privatbibliothek und unersetzliche Manuskripte von der Gestapo verbrannt werden.
Am 6. Januar 1935 emigriert Zube nach Wien, steht aber dort als Ausländer unter Arbeitsverbot, kontrolliert von der Polizei. Er fristet eine elende Existenz als freier Schriftsteller. Sein Vater, der ihn unterstützt, wird zwangspensioniert und muss sein Haus weit unter Wert verkaufen. Am 11. Juli 1935 wird im Reichsanzeiger Kurt Zubes Ausbürgerung veröffentlicht. Damit wird er staatenlos.
Dass er die sozialistische Doktrin der NS-Ideologie mit den eigenen Waffen zu schlagen versucht, wird später von unbedarften Geistern als eine Befürwortung des Dritten Reiches gedeutet. Gegen solch unverantwortliche wie unbegründete Verleumdungen muss er sich wehren, weil er argumentiert, dass, falls es diese nationalen Sozialisten ernst meinten, sie eigentlich doch akzeptieren müssten, dass sich eine wirkliche Volksgemeinschaft nur in Form der Herrschaftslosigkeit, der Anarchie, vollenden könnte.
Kurt Zube setzt sich, angeregt durch Mackay und Tucker, frühzeitig mit dem Geldmonopol und dessen Auswirkungen auseinander und wird 1934 Initiator und Propagandist der WIR –Wirtschaftsring-Genossenschaft in Zürich. Als Namensgeber dieser Genossenschaft investiert er so viel, wie sämtliche anderen Genossenschaftler zusammen, wird aber dann mit seinem Freund Curt Schönstem unter grobem Vertragsbruch ausgeschaltet, nachdem die Genossenschaft (heute rund 60.000 Mitglieder) schon nach einem halben Jahr Gewinne erzielt.
Auf der Flucht
Kurt Zube befindet sich von 1933 bis 1945 ständig in schwieriger Lage, die er aber mit viel Geschick, Talent und Durchhaltevermögen zu meistern versteht. Selbst von der Staatenlosigkeit betroffen, unternimmt er 1945 einen Versuch, einen Weltverband der Staatenlosen ins Leben zu rufen und sich mit konkreten Vorschlägen für eine alternative Ökonomie zu befassen. Das Scheitern des Sozialismus marxistischer Prägung ist für ihn nur eine Frage der Zeit.
Zum Jahresende 1945 erhält er dann als einziger Nichtösterreicher eine US-Lizenz für einen Buchverlag und für die Wochenzeitschrift Europäischer Beobachter. Mit Ablauf der Lizenz wird ihm später die Erlaubnis nach österreichischem Gewerberecht verweigert, und er muss seinen erfolgreichen Verlag liquidieren. Seine deutsche Staatsangehörigkeit erhält er 1951 zurück. Zunächst übersiedelt er nach München und wird freier Mitarbeiter des Drei-Eichen-Verlages (DEV), für den er eine Werbezeitung redigiert.
Von 1956 bis 1967 fungiert er als Herausgeber der Zeitschrift Erlesenes. Hier setzte er fort, was mit der Zeitschrift Radikaler Geist begann. Er bietet einen Querschnitt durch die aktuelle Literatur, um diesen dann mit einer fundierten libertären Kritik zu verbinden. Die von ihm verfassten Rezensionen haben einen bleibenden Wert und erfreuen sich noch heute in Kennerkreisen hoher Beliebtheit.
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Leider sind an die Stelle der früher recht aggressiven Religions- und Moralvorstellungen nicht weniger aggressive Ideologien getreten, deren Anhänger diejenigen eines religiösen oder moralischen Fanatismus noch übertreffen. Während jedoch die religiös und MoralGläubigen gelernt haben, zurückzustecken, einen Totalitätsanspruch nur noch selten oder zaghaft erheben, sind sich die Ideologie-Gläubigen des Glaubensinhaltes ihrer Überzeugungen kaum je bewusst. Sie halten diese, ähnlich wie die religiös Gläubigen die „Offenbarungen“ oder „die heiligen Bücher“, für absolute Wahrheit und jeden Zweifler an ihrem Glauben oder Andersdenkenden für böswillig.
KHZ Solneman alias Kurt H. Zube in: Anarchismus einmal ganz anders
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John Henry Mackay
Erst in den siebziger Jahren kann sich Zube seinen Jugendtraum erfüllen, nämlich die Werke von John Henry Mackay und die zu dieser Zeit in der BRD schon fast vergessenen Autoren des individualistischen Anarchismus wieder publik zu machen. 1974 begründet er die Mackay-Gesellschaft, bei der auch der Autor dieser Zeilen beteiligt war. Zu dieser Zeit ist Zube 69 Jahre alt, immer noch von ungeheurem Leistungswillen beseelt. Dem Verlag der Mackay-Gesellschaft ist in den Jahren ihres Bestehens von 1974-1986 einiger Erfolg beschieden. Die Edition der wesentlichen Werke von Mackay wird in einem Maße möglich, wie wir alle es nicht zu hoffen wagten. Besonders erfreulich war, dass wir wichtige Texte über Max Stirner von Prof. Dr. H. Sveistrup, Benedict Lachmann, Dr. H. Stourzh, J. L. Walker und auch bedeutende Autoren wie Emile Armand, Benjamin R. Tucker, J.J. Martin, W. Borgius oder Arthur Mülberger der Öffentlichkeit wieder zugänglich machen konnten. Dies war möglich durch die erfolgreich verkaufte Broschüren-Reihe Lernziel Anarchie, deren Ausgaben jeweils mehrtausendfach verkauft wurden.
Kurt H. Zube selbst veröffentlicht unter seinem Pseudonym KHZ Solneman 1977 sein Buch Manifest der Freiheit und des Friedens, das mit dem Alternativen Friedenspreis der Gegen-Buchmesse Frankfurt/Main 1977 ausgezeichnet wird. Resonanz wurde damit innerhalb der alternativen Szene und bei jenen Menschen erzielt, die an Ideen und Perspektiven einer mündigen Gesellschaft interessiert waren und sind. So war es auch kein Wunder, dass es unter den Mitgliedern der Mackay-Gesellschaft zahlreiche Prominente zu verzeichnen gab, etwa den Schriftsteller David Luschnat, Hans A. Pestalozzi, Dr. Edward Mornin, Hanns Schaub, Petra Kelly (Grüne), Ulrich Klug (FDP), Jean Barrué, Stefan Blankertz und einige andere. Programmatische Zielsetzungen, wie sie von der Mackay-Gesellschaft und insbesondere von Kurt Zube formuliert wurden, fanden Akzeptanz in den alternativen Medien, es gab Diskussionen, öffentliche Vorträge sowie Veranstaltungen.
Kurt Zube war bewusst, dass Menschen in wirtschaftlichen Rezessionen in sich selbst keinen Halt mehr finden. Dann verstärkt sich permanent die Autoritätsgläubigkeit und die ideologischen Rattenfänger aller Schattierung versuchen, diesen Nährboden zu nutzen. Er wies darauf hin, dass man dies verhindern kann, wenn man allen Menschen Freiheit und Wohlstand zusichert.
Kurt Zube stand in der Tradition und unter dem starken Einfluss von Max Stirner, Wilhelm von Humboldt, Johann G. Fichte, Pierre J. Proudhon, Josiah Warren, Lysander Spooner, Benjamin R. Tucker, John Henry Mackay sowie Thomas Jefferson – und in diesem Sinne stand er den Anhängern eines Abbaus der Institutionen und des Staates näher als jenen, die umgekehrt die Demokratie ausbauen möchten. So sind auch seine alternativen ökonomischen Vorschläge wie SAG (Selbsthilfe auf Gegenseitigkeit) und später sein Verfahren ESAG (Existenz-Sicherung auf Gegenseitigkeit) zu verstehen.
Er selbst hat nie in seinem Leben einen sicheren Posten zu Lasten anderer angestrebt. Seine Familie musste Notzeiten durchstehen, finanzielle Probleme bewältigen, die mit seinem Streben nach Unabhängigkeit zwangsläufig verbunden waren. Und er litt unter einem Handicap, das für ihn jede Kommunikation erheblich erschwerte: Er war fast taub! Sein Ziel war ökonomische Freiheit und Sicherheit für alle Individuen. Das lebte er vor; in Übereinstimmung zwischen Leben und Werk. Er starb am 7. Mai 1991 in Freiburg im Breisgau.
Uwe Timm, geb. 1932, unabhängiger Publizist, seit 1952 aktiv in der anarchistischen Bewegung. Mitherausgeber der individual-anarchistischen Zeitschrift Espero. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: Warum Ich Anarchist bin, 3. erweiterte Auflage, Freiburg 1985; Ökologie und Freiheit, Freiburg 1980; Zum Glück geht’s der Freiheit entgegen, Bösdorf 1991; Max Stirner - Ein Ärgernis?, Berlin 1996.
ef-Literatur-Tipp: